Genuss und Verzicht
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Für immer gesund?
Gesundheit mal anders
Folge – Genuss und Verzicht
Herzlich willkommen zu der vierten Folge meines Podcasts „Für immer gesund?“. Heute geht es um Genuss und Verzicht.
…………Musik
Mein Name ist Martin Marhoefer, und als Doktor der Medizin schaue ich weiterhin sehr gerne über den schulmedizinischen Tellerrand hinaus.
Denn für mich bedeutet Gesundheit immer das Wohlbefinden und die Balance von Körper, Geist und Seele.
Zunächst möchte ich auf zwei Neuheiten in meinem Podcast hinweisen. Da sind einmal die Transcripts, die jetzt jedem Podcast beigefügt sind. Man kann also während des Hörens mitlesen oder nur lesen oder eine bestimmte Stelle nochmals nachlesen.
Und dann werde ich ab dieser Folge zum ‚Du‘ übergehen.
Das ‚Du‘ liegt mir einfach mehr als das distanzierte, unpersönliche ‚Sie‘. Es ist eine Geschmacksfrage, und ich habe erstmal mit dem ‚Sie‘ begonnen, aber jetzt kennen wir uns ja schon etwas … und ich gehe zum ‚Du‘ über.
Wer Gesundheit erhalten oder wiedererlangen will, sollte seine Risikofaktoren reduzieren. Das ist bei chronischen Grunderkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck schwierig und oft nur mit Medikamenten möglich. Bei Lebensgewohnheiten sieht das schon anders aus, denn die hat jeder selbst im Griff. Der Kettenraucher weiß, wovon ich rede. Jetzt meine ich aber etwas anderes, und zwar das Übergewicht. Am besten ist es, wenn ihr das konsequent vermeidet. Etwas schwieriger wird es, wenn 5-10 kg runter sollen und ganz hart ist es bei der sog. Adipositas, also bei einem BMI von über 30 ( zur Erinnerung BMI = Körpergewicht : (Körpergröße)2 )
Der Body Mass Index ist zwar nicht der zuverlässigste Marker für Übergewicht, aber er gibt einen guten Anhaltspunkt. Und nicht jeder von uns ist ein Bodybuilder, der leicht einen BMI von 30 erreicht und kein Gramm Fett unnötig mit sich rumschleppt.
Dieses Übergewicht ist als Risikofaktor für Krankheiten nicht trivial. Denkt nur daran, dass das Herz deutlich mehr arbeiten muss, um einen massigen Körper mit Blut zu versorgen und somit die Herzschwäche fast vorprogrammiert ist. Fettstoffwechselerkrankungen, Diabetes und Bluthochdruck sind weitere Folgen. Und aufgrund des beschleunigten Verschleisses der Gelenke, die ein erhöhtes Gewicht tragen müssen, für das sie nicht gemacht sind, droht die frühe Arthrose. Diese geht einher mit Schmerzen, Bewegungseinschränkungen und schließlich Operationen zum Gelenkersatz. Auch wenn diese OPs heutzutage meist gute Ergebnisse liefern, ist ein natürliches, weitgehend gesundes Gelenk immer vorzuziehen. Auch weil jede OP Risiken birgt.
Es wurde in verschiedenen Studien außerdem nachgewiesen, dass Fettleibigkeit das Risiko erhöht, an Krebs zu erkranken.
Also sind gesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung unabdingbar für die Gesundheit. Etliche Ernährungsexperten geben dazu die unterschiedlichsten Ratschläge und Ernährungspläne. Hier könnt ihr euch Orientierung holen. Ich bin allerdings kein Freund von einem Leben nach Plan. Nach einiger Zeit werden diese gerne aufgegeben, und man kehrt zu alten Gewohnheiten zurück.
Dennoch gibt es ein paar Grundsätze bei der Ernährung, die nicht allzu schwer einzuhalten sind: verarbeitete Lebensmittel meiden (also vor allem Fertiggerichte), lieber frische Zutaten verwenden. Zucker, Weißmehl, rotes Fleisch und Wurstwaren gehören nicht auf den täglichen Speiseplan. Und zum Trinken gibt es wunderbare Getränke ohne Zucker und Alkohol.
Aber wo bleibt denn da der Genuss?
Schon Winston Churchill, ehemaliger britischer Premierminister und Literaturnobelpreisträger, wusste:
„Man soll dem Leib etwas Gutes bieten, damit die Seele Lust hat darin zu wohnen.“
Ja, zum Wohlbefinden gehört der Genuss!
Davon bin ich fest überzeugt.
Auch wenn der kulinarische Genuss oft die Aufnahme vieler Kalorien und Nahrungsbestandteilen, die der Körper nicht braucht, bedeutet.
Der Mensch besteht eben nicht nur aus einem Körper und einem Verstand, der die Köstlichkeiten verbieten soll. Er hat auch eine Seele, die sich wohlfühlen soll.
Die Lösung heißt: Hedonismus.
Also das Streben nach Sinneslust und Genuss.
Dazu las ich kürzlich einen wunderbaren Beitrag von Alev Dogan, stellvertretende Chefredakteurin bei Pioneer Media.
Ich möchte daraus einige Passagen zitieren:
„In unserer Zeit, in der wir auf Effizienz und Funktionalität getrimmt sind, in der alles nicht einen, sondern mehrere Zwecke verfolgt, wohnt dem Hedonismus etwas Aufständisches inne. Sich seiner Freude hinzugeben ist ein revolutionärer Akt in einer Welt, in der niemand Zeit und jeder Stress hat.“
„Reiswaffeln sind der Snack einer Gesellschaft, die den Genuss verlernt hat. Oder zumindest versucht, ihn sich abzutrainieren.“
„Die Reiswaffel will eine Süßigkeit sein, ist aber eine staubig-klebrige Traurigkeit…. Ihr einziger Existenzzweck ist, dass man eigentlich gerne etwas anderes essen würde, etwas nämlich, das schmeckt ….“
„Wir sehnen uns nach Sachertorte und greifen nach der Reiswaffel. Und verkaufen uns das als zivilisatorischen Fortschritt.“
„Alle achten auf ihre Gesundheit, womit sie meinen, dass sie auf Diät sind, aber Diät sagt heutzutage kein Mensch mehr, weil es so streng und nach Verzicht klingt.“….“also lebt der moderne Mensch einfach bewusst. Bewusst auf Diät, aber erlauben wir uns ein wenig Nachsicht.“
Alev Dogan bringt ein schönes Zitat von Nicolas Chamfort (1741-1794), einem französischen Moralist und Dramatiker:
„Durch die Leidenschaft lebt der Mensch, durch die Vernunft existiert er bloß.“
Dies drückt voll und ganz meine Überzeugung aus. Was für ein trauriges Leben wäre es, ginge der Mensch nicht seinen Passionen nach, die ihn oft an Grenzen führen, wo er sich spüren kann?
Ein Leben von der Vernunft geprägt, geht Freude, Genuss und Risiken aus dem Weg. Alles ist der Sicherheit, Ordnung und Gleichförmigkeit unterworfen.
Ein Leben in Trostlosigkeit.
Der alte Spruch ‚No risk, no fun‘ trägt etwas Wahres in sich.
Oder, wie es Alev Dogan schreibt: „Ein Leben, das sich allein dem Vernünftigen, dem Richtigen und Gesunden widmet, ist ein Leben light.“
Sie meint das englische ‚light‘, aber auch das deutsche Wort ‚Leid‘ würde passen.
Und jetzt kommts dicke:
„Eigentlich ist es ein Widerspruch. So vieler Bürden hat sich der moderne Mensch entledigt. Das Leben ist komfortabler, sicherer, gesünder, länger denn je. Wir hätten Zeit und Muße, es zu genießen. Es zu schmecken, zu fühlen, riechen, hören, es zu sehen.
Doch wir beschäftigen uns mit dem Beschäftigtsein.“
Sie zitiert den Meditationsexperten Jon Zabat-Zinn: „We call ourselves human beings, but we should call us human doings. Wir sind Tuende und weniger Seiende.“
Dogan weiter: „Und was wir tun, soll im Multipurpose-Zeitalter am besten gleich mehreren Zwecken dienen. Unser Essen soll uns nicht nur schmecken und sättigen, sondern uns gesund halten, unserer Langlebigkeit zutragen, unsere Haut verschönern, uns Energie geben.“
Ich bin ja auch einer, der predigt, dass man sich bewusst sein soll, was man seinem Körper zuführt. Aber so ab und zu beim Italiener über die Stränge schlagen…?
Na ja, die Buchweizen-Sellerie-Pfanne schmeckt ja wirklich nicht so schlecht.
Ob ich letzteres ernst meine, könnt ihr euch wahrscheinlich selbst denken.
Dogan führt weiter aus: „Denn wir Menschen scheinen dazu zu tendieren zu übertreiben. Und auch der Hedonismus erquickt uns nur in Dosen. In der Überdosis vergiftet er uns.“
Ich sehe übrigens diese Tendenz zu Übertreibungen jeden Tag in den Kulturkämpfen von links und rechts. Im Exzess der politischen Meinungen der verschiedenen Lager und in der Auseinandersetzung um den richtigen Weg in die Zukunft.
Etwas mehr Augenmaß und weniger Schaum vor dem Mund wären angebracht.
Sorry für den kleinen Exkurs.
Womit wir wieder bei der Ernährung wären.
Ja, Leute, genießt das Leben. Gebt euch dem Genuss hin, aber übertreibt es nicht.
Und lasst den Genuss nicht zur Gewohnheit werden, denn dann ist er kein Genuss mehr.
Nochmal Alev Dogan: „Nur wer Disziplin kennt, kann sich dem Rausch und der Lust wirklich hingeben. Doch er sollte es eben auch.“
Vergesst den Hedonismus nicht! Aber vergesst nach übertriebenem Genuss nicht, euch was Gesundes, Frisches und Bewegung zu gönnen. Geht raus in die Natur und spürt die Freude eurer Seele, die wieder gerne in eurem Körper wohnt. Und nun sollte auch der Geist zufrieden sein.
Auf einen wichtigen Punkt möchte ich noch hinweisen: mit den größten Einfluss auf menschliches Verhalten hat die Gewohnheit. Auch bei der Nahrungsaufnahme. Dieser folgt der Mensch gerne und vermeidet Veränderung.
Aber nichts muss bleiben, wie es ist.
Ich habe lange im Ausland und auf mehreren Kontinenten gelebt.
Was eine Umstellung für meine Geschmacksrezeptoren!
Das Brot: langweilig!
Der Kaffee: grausig!
Das Bier: eine Zumutung!
Aber siehe da! Nach kurzer Zeit war alles zur neuen Gewohnheit geworden und schmeckte sogar.
Ich hatte in vorherigen Podcasts über Ernährung und Übergewicht gesprochen und euch erzählt, was empfehlenswert ist. Da ich kein Freund von Plänen bin, versucht einfach frische Zutaten zu verwenden, möglichst selbst zu kochen, Junkfood zu meiden (wobei die Pizza oder ein Burger ab und zu erlaubt sein müssen). Oft sind Getränke ein Dickmacher. Softdrinks sind tabu, ungesüßte, selbst gemachte Fruchtsäfte oder Mineralwasser der ‚Burner‘ (im wahrsten Sinne des Wortes).
Und wenn mal ein paar Kilo runter müssen, dann empfehle ich Intervallfasten und auch die sog. fasting mimicking diet. Im Deutschen sagt man Scheinfasten dazu. Dabei nimmt man über einige Tage ausschließlich Obst und Gemüse zu sich, wenn man will im Mixer als Drink, und erreicht ähnliche Effekte wie mit einer Nulldiät, bleibt aber leistungsfähig. Also Verzicht, aber nicht auf alles.
Wer sich dazu noch sportlich bewegt (je nach Konstitution), wird die Pfunde verschwinden sehen und bei etwas Disziplin sogar auf Nimmerwiedersehen.
Zum Abschluss eine kleine Vorausschau auf die nächste Folge von „Für immer gesund?“.
Da steht ja ein Fragezeichen hinter dem Titel und in der Folge eins hatte ich angeregt, dass ihr euch diese Frage am besten selbst beantwortet. Die Antwort hat natürlich viel damit zu tun, was man unter Gesundheit versteht.
Wählt man die Definition der WHO, ist die Antwort ein klares ‚Nein‘.
Diese lautet:
„Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen physischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht bloß das Fehlen von Krankheit und Gebrechen“.
Wenn man sich anschaut, wie Nietzsche Gesundheit sieht, kommt man zu einem anderen Schluss:
„Gesundheit ist dasjenige Maß an Krankheit, das es mir noch erlaubt, meinen wesentlichen Beschäftigungen nachzugehen.“
Sigmund Freud meinte dazu:
„In dem Moment, in dem ein Mensch den Sinn und den Wert des Lebens bezweifelt, ist er krank.“
Ihr seht, dass es ganz verschiedene Ansätze gibt, die alle ihre Berechtigung haben. Entscheidend ist, wie ihr für euch Gesundheit beurteilt und euren individuellen Zustand bewertet.
Darum wird es in Folge 5 gehen.
Vielleicht habt ihr Lust bis zum nächsten Mal darüber nachzudenken, euch eurem Selbst bewusst zu werden, denn die Seele gehört immer dazu.
Für heute bedanke ich mich sehr herzlich fürs Zuhören und freue mich, wenn ihr beim nächsten Mal wieder dabei seid,
euer Martin Marhoefer
…Musik
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